Mehr Ich wagen.

Camilla/ April 8, 2016/ meta, Vom guten Leben

Ich stoße immer wieder darauf, dass ich hier sehr wenig schreibe. Ein Grund: Es gibt so viel anderes, was gerade erledigt werden will. Die Dringlichkeiten, die mir von außen auferlegt werden, drängen das Bloggen in den Hintergrund. Ein anderer: Ich hatte das Gefühl, hier ein bestimmtes Bild aufrechterhalten zu müssen. Das hat letzten Endes das Schreiben hier ziemlich unattraktiv gemacht.

„Die Strafe dafür, eine Maske zu tragen, ist, dass man eine Maske tragen muss“, wird Oscar Wilde zugeschrieben – einer jener Autoren des fin de siècle, die ich heiß und innig liebe.

Ich bin unzufrieden damit, wie ich bisher versucht habe, mich im Beruf zu präsentieren. Meine berufliche Selbstpräsentation war weniger eine Maske als ein sehr unbequemes Kostüm, das ich nach Feierabend schnellstens abstreifte. Denn: es war zu wenig ich und zu sehr das, was ich glaubte, sein zu sollen, aber nicht war. Ich fühlte mich damit klein, grau, duckmäuserisch, ängstlich. Ich fühle mich damit rundherum unauthentisch. Wäre ich eine Schauspielerin, dann wäre ich eine katastrophale Fehlbesetzung für die Rolle, die ich die letzten 8 Jahre zu spielen versucht habe. Meine Darstellung würde in einem Film oder auf einer Bühne zu Recht als hölzern, gespreizt, unglaubwürdig und halbherzig kritisiert werden.

Vorstellungsgespräche sind wohl ohnehin ein Feld, auf dem eins sich von der besten Seite präsentieren will, aber sie sind zugleich die Situation, in der ich diese Tendenz am schärfsten sehe: immer abwägen, welche Seiten von mir ich zeigen darf, welches Bild von mir eine bestimmte Aussage oder Handlung transportiert, was zu stigmatisiert ist, um es überhaupt zu zeigen; was vielleicht too much information ist, und doch um die Brüche und Widersprüche nicht herumnavigieren können (ich bin sowieso eine schlechte Lügnerin), die sich ergeben, wenn ich versuche, das Stigmatisierte und nicht-Normgerechte wegzulassen und/oder so zurechtzubiegen, dass es in gängige, lineare Begriffe von Karriere passt. Überhaupt, wieviel bleibt von mir dann noch übrig?
Wie sehr dieses Gefühl auch meinen Arbeitsalltag in meinen bisherigen Angestelltenjobs geprägt hat und wie kräftezehrend das sein kann, wurde mir in den vergangenen Monaten in Gesprächen mit zwei Freund_innen klar, die etliche meiner Erfahrungen teilen. Und mir wurde klar: So will ich nicht weitermachen.

Die Büro-Arbeits-Kultur, die ich bisher erlebt habe, ist eine upper middle class-bürgerliche, eine weiß, heterosexuell, cisgender dominierte und zutiefst ableistische. Eine, die – zumindest in Deutschland – für krumme Lebenswege keinen Platz hat. Ich spüre meine Abweichungen davon immer deutlicher. Ich bin vielleicht Akademikerin, weiß und (größtenteils) cisgender. Und obwohl ich aus einem eher bildungsbürgerlichen (wenn auch gegenkulturell angehauchten) Milieu komme, ist Armut eine prägende und dauerhafte Erfahrung für mich. Meine Biographie ist so kurvenreich wie eine Paßstraße vor dem Bau von großen Bergtunneln.

Was mache ich also mit meinen zahlreichen Normabweichungen? Wie gehe ich mit den Punkten um, an denen ich stigmatisierte Merkmale trage? Was, wenn ich etwa eine unsichtbare Behinderung hätte, die mit Stigma und völlig falschen Bildern in den Köpfen verbunden ist? Wie unapologetisch queer bin ich eigentlich? Wie sehr spiele ich eigentlich die Rolle meiner künstlerischen Tätigkeit und Veranlagung herunter? Was ist mit Leistungsbezug von der Agentur für Arbeit und den Zwängen, die damit einher gehen? Kann ich aufhören, mich zu schämen für die Erwartungen, die ich mit meinem knappen Budget eben nicht erfüllen kann (wie z.B. perfekte Businesskleidung)?

Und was ist mit meinen Stärken? Welche stelle ich notorisch unter den Scheffel? Was mit meinen Bedürfnissen: rede ich die ständig viel kleiner, als sie wirklich sind? Kein Wunder, daß ich mich halbiert fühlte. Oder als müßte ich eine Rolle spielen, die mir nicht liegt (been there, done that: im Gesangsstudium wurde ich als Soubrette (fehl)klassifiziert und tat mich unendlich schwer, mich in Rollen wie Despina [„Cosí fan tutte“] oder Adele [„Die Fledermaus“, Joh. Strauss Sohn] hineinzufinden – und abgesehen davon, dass diese stimmliche Fehleinschätzung mir gravierende gesangliche Probleme bescherte, war auch die schauspielerische Fehleinschätzung ein Faktor, der mich dazu führte, dieses Studium hinzuschmeißen. Vor ein paar Jahren habe ich auf Mezzosopran umgesattelt und siehe da, das mit dem Singen funktioniert wieder. Aber klein und blond kann ja kein Mezzosopran sein. Klappe zu, Affe tot, oder so – Rant Ende).

Jetzt lautet meine Schlußfolgerung: Vielleicht passe ich in die Büro-Angestellten-Welt einfach nicht rein.

Ich bin vor kurzem 40 geworden. Mein Leben ist mir zu kostbar, um weiter Zeit und Energie darauf zu verschwenden, eine Fassade aufrecht zu erhalten, die mich einengt. Diese Kraft will ich lieber zur Verfügung haben, um Dinge zu tun, die mir etwas bedeuten und mit meinen Zielen in Einklang stehen (und nicht für Ziele, von denen ich nur glaube, sie wollen zu sollen, weil man das so macht oder weil mir kein anderes Lebensmodell zur Verfügung steht). Vielleicht werde ich nicht sofort die richtige Balance zwischen Wahrhaftigkeit, meinem dauerhaften Wohlbefinden und – ja, was eigentlich? notwendiger Diplomatie? Mir keine guten Chancen verbauen? Mich nicht in Gefahr bringen und mich nicht mehr Konflikten aussetzen, als unbedingt sein muss? Mit meinem Mitmenschen gut umzugehen? – finden. (Erst wollte ich auch noch „Leute nicht unnötig vor den Kopf stoßen“ in die Aufzählung schreiben, aber das ließ ich dann: Ich werde wahrscheinlich immer Leute brüskieren durch meine schiere Existenz. Und ich habe zu viel Zeit damit verbracht, zu versuchen, das nicht zu tun. Zeit für ein bißchen mehr Flamboyanz, Baby.) Aber anfangen kann ich, genau jetzt.

Was will ich eigentlich? Das ist einfach. Oder schwierig, je nachdem. Ich will mein Auskommen mit meiner Hände guter, ehrlicher Arbeit verdienen, und zwar hier in Freiburg. Ich will, dass es mir damit langfristig gut geht, dass ich nachhaltig mit meinen Kräften umgehe und ich will dabei – wenigstens im Durchschnitt – zufrieden sein. Ich will Zeit und Energie für das übrig haben, was mich glücklich macht, soweit es nicht schon in meiner bezahlten Arbeit steckt. Und das langfristige Wohlbefinden hat (unter anderem) zur Bedingung, dass ich wahrhaftig sein kann, wo es für mich von Belang ist.

Was sich hier ändern wird? Weiß ich noch nicht genau. Technischen Content (Programmieren, LaTeX, Linux etc.) wird es weiterhin geben. Dann und wann was zu meiner Selbständigkeit als Lektorin, Texterin und Notensetzerin/Musiklektorin (habe ich noch gar nicht erwähnt, nicht?). Und hin und wieder auch eine Meinung oder etwas Persönliches. BÄM. Ich freu‘ mich auf mein neues berufliches Ich.

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1 Kommentar

  1. Camilla, auch wenn es Dir wahrscheinlich nicht hilft: Es geht mir genauso. Allerdings habe ich NOCH länger gebraucht, bis ich es bemerkte bzw. wahr haben wollte.

    Du hast recht, auch die Büro-Arbeits-Kultur, die ich bisher erlebt habe, ist eine upper middle class-bürgerlich orientiert (in Hamburg sogar, vom Ideal her, oft sogar upper class orientiert, ich könnte es auch „hanseatisch-snobistisch“ nennen), heteronormativ, cisgender dominiert und zutiefst ableistisch. Was ich erleben „durfte“: Es ist, abgesehen vom fehlenden „hanseatischen Snobismus“, in Callcentern, im Einzelhandel und sogar in Werkstätten und im Lager-Logistikbereich genau so! Selbst in sozialen Einrichtungen geht es verdammt ableistisch zu. Ja, mein Lebenslauf ist kurvig wie eine Bergstraße; ich habe im Laufe der Jahre alles mögliche gemacht, um Geld zu verdienen. Ohne reichlich Druck, z. B. vom Jobcenter, hätte ich sehr viele dieser meist miesen Jobs nie übernommen.

    Du hast recht, nach wie vor ist für krumme Lebenswege wenig Platz, obwohl die „von der Lehre bis zur Rente bei einem Unternehmen“-Karriere selten geworden sind und seit über 25 Jahren „Flexibiltät“ gefordert ist. Und für „außergewöhnliche“ Menschen noch weniger. Das liegt, wie mir eine Personalberaterin unverholen sagte, am Sicherheitsdenken: Lieber eine in jeder Hinsicht mittelmäßigen Bewerberin mit „zuverlässig abrufbaren Leistungen“ als eine brilliante, aber womöglich „exzentrische“ Kandidatin, die vielleicht „Macken“ hat. Und da es auf dem Arbeitsmarkt genügend „graue Mäuse“ gibt – oder Menschen, die sich tunlichst und mit viel Aufwand als „graue Mäuse“ tarnen – ändert sich daran auch so schnell nicht. „Behinderung“ ist übrigens, wenn es keine Fördermittel abzugreifen gibt, bei den meisten Unternehmen immer noch ein KO-Kriterium. Im Unterschied zu früher gibt es aber kein_er mehr zu. Ich bin männlich, Weiß, cisgender – und nur „ein bißchen“ bi, . h. ich gehe normalerweise als hetero durch. Ich habe eine abgeschlossene Berufsausbildung. Ich bin „herkunftsdeutsch“, nach der üblichen Definition ohne „Migrationshintergrund“. Und ich merke, dass mir diese Privilegien nutzen. Trotzdem ist relative Armut auch für mich seit langem eine unangenehme und prägende Erfahrung. Ich schreibe bewußt „relative Armut“, denn ich habe mit Menschen zu tun, bei denen es wirklich knapp ist, die „absolut“ arm sind.

    Anderseits merkte ich seit Ende der 90er-Jahre, dass mir wichtige Privilegien fehlen. Ich komme aus eher „einfachen Verhältnissen“ und war der erste in meiner Familie, der Abitur gemacht hat – übrigens mit Notenschnitt 2.0 – nicht brillant, aber besser als die meisten jener meiner Ex-Mitschüler, die wirklich erfolgreich Karriere machten – einer, übrigens jemand, der das Abi eben so schaffte, brachte es bis zum Vorstandsvorsitzenden eines Großunternehmens. Was ihnen half, waren oft die richtigen „Türöffner“ – „Vitamin B“ und der richtige „Stallgeruch“ – sagen wir es offen: die richtige Klassenzugehörigkeit. Als „Malus“ erlebte ich mein nicht abgeschlossenes Studium – und meine „komische Art“ – vor der ich lange nicht wahrhaben wollte, dass sie eine „Autismusspektrumstörung“ ist. Ich glaubte erst dann, dass ich „Aspie“ bin, als ich die Diagnose hatte – und erstaunlich viele glauben sie mir nicht. Ich kann „neurotypische“ Menschen eben gut nachmachen. 😉 Es sei denn, ich erlebe einen „Overload“. Inzwischen bin ich auch nicht mehr der Jüngste (über 50 ist immer noch ein schwerer Nachteil), und habe „kaputte Nerven“. Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt: gleich Null. Aber das zusugeben, passt nicht ins System – und es passt nicht in mein Selbstbild. (Sorry für das Selbstmitleid. Wenn ich eins gelernt habe, denn das, dass Selbstmitleid nichts bringt, außer depressionfördernden Grübeleien, und dass die viel zitierte „Härte gegen sich selbst“ wirklich funktioniert. Dumm nur, dass sie anstrengt, und dass einem kaum jemand glaubt, dass mein „gutes Sozialverhalten“ harte Arbeit ist.)

    Was will ich eigentlich? Die Hoffnung, mein Auskommen mit meiner Hände guter, ehrlicher Arbeit zu verdienen, wird von Jahr zu Jahr kleiner: Zukunftsperspektive Altersarmut. Daher ist es für mich wichtig, hier und heute einigermaßen zufrieden zu sein. Zeit und Energie für Dinge übrig haben, die mir wichtig sind. Das geht nur, wenn ich mein Verhalten ändere. Durchaus in Richtung dessen, was gemeinhin „Verweigerungshaltung“ genannt wird – nicht mehr vorspielen, „hochmotiviert“ zu sein, öfter „ohne mich!“ sagen. Mein Bruder sagte schon immer: „Es ist cool, Außenseiter zu sein.“ Ich dachte immer: Er hat gut reden, denn er hatte nie das Problem, trotz Außenseiterstatus Freundschaften zu schließen, Kontakte zu knüpfen und vor allem: Spaß zu haben. Ich wollte früher nie Außenseiter sein. Weil ich Angst vor der Isolation und vor Verachtung hatte. Ich merkte: Erst seitdem ich aufhörte, alles, was an meinem Leben und an mir von der Norm abweicht, zu verleugnen und zu verbergen, geht es mir besser. Wobei auf dem Weg zum „So sein, wie ich bin“ noch eine weite Wegstrecke vor mir liegt. Aber ich merke immer mehr: mein Bruder hat so etwas von recht!

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