„Raus aus der Komfortzone“ ist ein Spruch, den ich gefühlt ständig in Blogs etc. gelesen habe, wenn es um persönliche Entwicklung und Karriere ging. Und er liegt mir quer, und zwar aus folgedem Grund:
Mit Unsicherheit umgehen können ist sicher eine wichtige Fähigkeit. Über sich hinauswachsen und die eigenen Grenzen erweitern kann mich weiterbringen. Wenn jedoch gar nichts mehr sicher scheint und das Leben nur noch auf Sand gebaut erscheint – dann, würde ich sagen, läuft was falsch.
Ich bin fest überzeugt: Die Komfortzone ist eine Lebensnotwendigkeit. Sie ist eine Zone, wo ich mich sicher fühle, wo die Dinge überschaubar sind und sich größtenteils so anfühlen, als hätten ich die Zügel in der Hand. Eine Zone, wo ich auch einmal regenerieren kann. Die starke, sichere Grundlage, von der ich ausgehen und zu der ich wieder zurückkehren kann.
Meine Komfortzone ist so etwas wie mein Basislager. Von dort aus kann ich Expeditionen unternehmen, mich ins Unbekannte vorwagen, Neues machen – aber wenn ich *nur* Neues mache und es nicht ins Alte integriere, erreiche ich keine Stabilität, kein nachhaltiges Wachstum. Wenn ich ohne Basislager, ohne Punkt, an den ich zurückkehren kann, ohne Reserven, Ressourcen und Punkte zum Ausruhen in der Wildnis unterwegs bin, dann ist das kein Wachstum, es ist Überlebenskampf und wenn ich mich absichtlich in so eine Situation bringe, ist das schlichte Dummheit. Wenn ich so häufig außerhalb meiner Komfortzone bin, daß ich vergesse, wie sie sich anfühlt, kann das nicht gesund sein. Been there, done that, es hat mir nicht gut getan.
Darum: „Raus aus der Komfortzone“ ist zwar dann und wann eine weise Sache, aber erst mal muß ich eine Komfortzone überhaupt haben und wissen, wo sie ist, bevor ich sie verlassen kann.
2 Antworten zu “Ein Lob der Komfortzone”
Schön, dass jemand mal die sog. Komfortzone, aus der man bitteschön raus soll, kritisch hinterfrägt!
Raus aus der Komfortzone – das impliziert ja, dass man (ich fühl mich da immer direkt angesprochen) es sich bequem gemacht hat, den einfachen Weg sucht, Widerstanden ausweicht und so weiter.
Und was, wenn man schon lange aus der Komfortzone raus ist und eigentlich nur gerne wieder rein will?
Viele Grüße
M.
Mit der Komfortzone ist das so eine Sache. Ich baue Bögen und Pfeile.
Ich weiß genau, wenn ich einen bestimmten Bogentyp aus einem bestimmten Holz mit diesen Dimensionen baue, dann wird er er so stark werden UND er wird sicher halten.
Wenn ich dabei bleibe, lerne ich aber nichts mehr.
Also bewege ich mich manchmal an dieser Stelle aus meiner Komfortzone, aus meinem sicheren Bereich, heraus.
Ich bau den Bogen ein wenig schlanker, gehe ein wenig näher an die theoretische Belastungsgrenze, um den Bogen effizienter, die Pfeile schneller, zu machen.
Und manchmal übertreibe ich unwissentlich dabei und der Bogen bricht. Das ist ärgerlich, aber ich habe etwas gelernt und bin ein besserer Bogenbauer geworden.
Natürlich mache ich solche Experimente nicht mit Kundenprojekten. Aber ich mache sie und und ich muss sie machen, um zu wachsen.
Dabei bewege ich mich aber immer auf dem sicheren Fundament dessen, was ich bis dahin gelernt habe und mache nicht einfach irgendwelche wilden Versuche ala „Halb so dick geht bestimmt auch.“
Anders ist es, wenn ich etwas fast gänzlich mache – Meistens, weil ich zuviel Bier getrunken und in der falschen Runde eine dicke Lippe riskiert habe. – und mich in Bereiche und an Dinge „wage“, in denen ich (fast) keine Erfahrung habe.
Das erste Mal vor IT-Menschen und Marketingleuten über mein Business und was Social Marketing für es (nicht) bedeutet sprechen, der erste Bogenbaukurs mit ADHS-Kindern, zum ersten Mal für einen zahlenden Kunden etwas bauen, dasnichts mit Pfeil und Bogen zu tun hatte, das waren Situationen, in denen ich so weit außerhalb meiner Komfortzone war, daßes echten Stress bedeutet hat.
Aber sie haben mich auf einer persönlichen Ebene wesentlich weiter gebracht. Ich weiß seitdem viel genauer was ich kann und was davon ich machen will.
Lange Rede, kurzer Sinn – „Raus aus der Komfortzone“ ist grundsätzlich gut. Aber man sollte dabei nicht sein bisheriges Leben in Trümmer schlagen.