Die Grenzen des Produktivitätshackings

Camilla/ Mai 24, 2012/ Gleichgewicht

Ich habe ja jetzt schon eine ganze Weile mein Projekt „Zen to done revisited“ am Laufen. Und irgendwo hakt’s. Mittlerweile glaube ich, daß ich eigentlich sehr vieles davon schon gut umsetze und immerhin – ich verpeile wenig, ich werde den meisten meiner Pflichten gerecht, ich stoße nur an einige Grenzen, die mit dem besten Produktivitätssystem nicht zu bewältigen sind. Welche das sind, kann ich hier nicht konkret benennen.
Nach dem Klick habe ich ein paar Dinge aufgestellt, von denen ich glaube, daß sie gängige Produktivitätstechniken fruchtlos machen.

  • Wertkonflikte. Bin ich die ganze Zeit mit etwas beschäftigt, das im Widerspruch steht zu meinen Werten? Hinter dem ich im schlimmsten Fall nicht stehen kann? Ich will nicht der totalen Identifikation mit dem Job das wort reden, im Gegenteil, ich halte das Konzept Brotjob für komplett legitim und glaube, daß Menschen auch in Arbeit, in der sie nicht total aufgehen, Dinge mit Hand und Fuß leisten können. Ständige moralische Konflikte mit sich auszutragen – zum hypothetischen und überspitzten Beispiel: wenn ich als überzeugte Pazifistin in der Rüstungsindustrie arbeiten sollte -, frißt jedoch entsetzlich viel Energie.
  • Stete Fehlanforderung. Wenn ich die ganze Zeit mit etwas beschäftigt werde, womit ich eigentlich über- oder unterfordert bin, ist die Demotivation, die daraus entsteht, nur kurzfristig durch Disziplin abzufangen. Eine der Bedingungen von „Flow“ ist das Forderungsniveau: Flow entsteht nur dort, wo ich zwar (durchaus anspruchsvoll) ge-, aber noch nicht überfordert bin.
  • Quantitative Überforderung ist auch mit den besten Zeitmanagementtechniken nicht in den Griff zu bekommen. Beziehungsweise: dort heißt das gute Zeitmanagement, daß ich die Ursache der nicht mehr zu bewältigenden Arbeitsflut abstelle.
  • Zuwenig Anerkennung oder keine Rückmeldung. Gute Arbeit zu leisten und dafür keine Anerkennung zu bekommen, ist ein Weg in den Burnout. Genauso schädlich ist, meine ich, ohne Rückmeldung und Möglichkeit, die eigene Leistung einzuschätzen, blind vor sich hin zu wurschteln; auch dabei geht schnell die Motivation verloren.
  • Eine konzentrationsfeindliche oder unergonomische Umgebung. Auch durch Monotasking, Pomodoro-Technik, einen ausgefeilten GTD-Workflow, … wird man nicht automatisch konzentriert. Wenn mein Arbeitsplatz von Lärm und ständigen Unterbrechungen geprägt ist, wenn ich friere oder vor Hitze fast zerfließe, wenn mir nach einer halben Stunde am Schreibtisch der Rücken mehr wehtut als sonst, lautet der Hack, der am meisten bringt: Störungen ausschalten. Ob ich mir einen anderen Arbeitsplatz suche, mit dem Chef über einen Schreibtisch rede, der meinen Körpermaßen gerecht wird oder eine Jalousie anbringe, damit mir nicht die Sonne auf den Pelz brennt.
  • Andere Lebensbereiche befinden sich im Ungleichgewicht. Es gibt Menschen, die fliehen vor Dingen, die im Rest des Lebens nicht stimmen, in die Arbeit. Ich weiß das, weil ich das eine Weile praktiziert habe. Auch das ist nicht gesund und „emotionale Baustellen“ werden davon nicht besser (im gnädigsten Fall findet man sie, wenn man sich ihnen wieder zuwendet, unverändert, im schlimmsten Fall ziehen sie einem genau dann den Boden unter den Füßen weg, wenn die Hütte anderen Stellen auch noch brennt). Ich halte es für vollkommen gesund, sich in einer krisenhaften Situation zuzugestehen, nicht vollkommen leistungsfähig zu sein. Im Zweifelsfall lautet die gesunde Lösung hier, wenn möglich, eine Auszeit zu nehmen: das kann eine Krankschreibung sein, ein Urlaubssemester oder ähnliches. Nicht jedem ist das möglich, aber wer diese Möglichkeiten hat, tut gut daran, sie in Anspruch zu nehmen.

Zusammengefaßt: Gegen unproduktive Strukturen an kann ich nur begrenzt produktiv sein.

Liebe LeserInnen, fallen Euch noch andere Dinge ein, gegen die mit „Lifehacking“ nicht anzukommen ist?

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1 Kommentar

  1. Hallo Camilla,

    ein Punkt fällt mir dazu noch ein: Gegen eine latente Unzufriedenheit am Arbeitsplatz kann auch das beste Produktivitätshacking nichts ausrichten. Da kann eine Mitarbeiter noch so gut sein und noch so viele Aufgaben erledigen. Wenn er bei allen erfolgreichen Projekten immer das Gefühl hat, dass er nichts wichtiges tut und seine Zeit mit den Aufgaben nur verschwendet, hilft ihm das nicht weiter.

    Produktivitätshacking ist – meiner Meinung nach – dafür gedacht, die wichtigen Dinge effizient und gut zu schaffen. Doch die Priorisierung und Bewertung der Aufgaben nimmt es dem Einzelnen nicht ab.

    Gruß, Christian

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