Die alte deutsche Rechtschreibung – ist die noch richtig?
Da vor einiger Zeit eine Kommentatorin zu meinem Rechtschreibungs-Artikel anmerkte, „daß“ sei doch mittlerweile falsch, und implizierte, ich solle vor meiner eigenen Tür kehren und die neue Rechtschreibung verwenden, stellte sich mir die Frage: Wie kann ich über Rechtschreibung schreiben, wenn ich selbst in diesem Blog konsequent eine Schreibweise (nämlich die alte deutsche Rechtschreibung) verwende, die nach Meinung vieler falsch ist?
Ich oute mich als Freundin der alten Rechtschreibung. Wenn ich die Vorgabe habe, die neue Schreibung zu verwenden, halte ich mich selbstverständlich daran, doch wenn ich die Wahl habe, verwende ich die alte Schreibweise. Ist das für jemanden, der den Anspruch hat, professionell mit Texten zu arbeiten, nicht kontraproduktiv? Ich meine: nicht notwendigerweise, solange ich eben auch bereit bin, bei Bedarf neue Schreibweisen zu verwenden und mich an eventuell vorhandene Hausregeln zu halten.
Bindend ist die neue deutsche Rechtschreibung ohnehin nur in Schulen und für amtliche Stellen, und viele namhafte Zeitungen und Zeitschriften verwenden mittlerweile sogenannte Hausorthographien.
Die meisten meiner Germanistik-Professoren bevorzugten die alte Rechtschreibung. Sie stellten ihren Studenten jedoch frei, welches Regelwerk sie verwenden – mit der Bitte, sich klar für eines zu entscheiden und dieses konsequent und vollständig anzuwenden. Nur ein Musikwissenschaftsprofessor war eisern: Die alte deutsche Schreibweise sei die einzige, die man denkenden Wesen zumuten könne, schrieb er in einer Leitlinie für eine renommierte musikwissenschaftliche Fachzeitschrift. So oder so: Mit der Anmerkung „Diese Arbeit folgt den Regelungen der alten deutschen Rechtschreibung“ in der Einleitung war das Thema an der Universität immer abgehakt.
Was die öffentliche Akzeptanz betrifft: Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung lehnt die Reform ab, und auch von fachlicher Seite mangelt es nicht an Kritik. „Richtig“ oder „falsch“ kann man, wie Sven mich auf facebook wissen ließ, nur innerhalb eines Regelsystems bestimmen. Streng genommen ist die Richtigkeit oder Falschheit alter Schreibweisen also eine Glaubensfrage, sofern man nicht in der Eigenschaft als Beamtin oder Lehrer schreibt.
Meine primären Motive für meinen Rechtschreibartikel haben mit alter oder neuer Rechtschreibung wenig zu tun. Sie heißen Lesbarkeit und Verständlichkeit. Um das vielstrapazierte „das vs. dass/daß“ abermals zu bemühen: Wird ein Nebensatz mit „das“ angefangen, erwarte ich einen Relativsatz; wenn sich erst aus dem Inhalt ergibt, daß es sich eigentlich um einen Adverbialsatz handeln muß, erregt das ein Gefühl von Unwillen bei mir, denn ich muß den Nebensatz neu bewerten, um den Sinn des gesamten Satzes zu erfassen.
Ich beobachte sogar an mir, daß der Korrekturmodus, den ich ja im Studium ständig aktiv halten mußte (weil ich selbst sehr viel schrieb), derart das Lesegeschehen übernehmen kann, daß ich mich auf den Sinn nicht mehr konzentrieren kann und entnervt Strg-W drücke. Dadurch entgeht mir vielleicht der eine oder andere inhaltlich interessante Text, so manchen Forenbeitrag habe ich dadurch eben nicht gelesen. Ob alte oder neue Rechtschreibung, ist dabei unwichtig.
Es gibt ein Maß an orthographischer Fahrlässigkeit oder „eigenwilliger Schreibung“, das die Lesbarkeit von Texten beeinträchtigt.
Ich teile in der Tendenz den Standpunkt meiner Professoren: Alte oder neue Rechtschreibung – das ist weniger wichtig, als überhaupt Sorgfalt für das Thema aufzubringen, Schreibweisen zu wählen, die (wenn das nicht Teil eines künstlerischen Konzepts ist) sich im Ganzen an gängigen Rechtschreibkonventionen orientieren und diese konsistent anzuwenden.
Guter Artikel/ Hinweis – es geht aber noch weiter, denn auch die alte Rechtschreibung ist nur auf Ämtern und an Schulen bindend. Auf Deinem Blog kannst Du schreiben wie Du lustig bist, genau wie alle anderen … 🙂
Eine Zumutung ist es trotzdem, wenn Groß- und Kleinschreibung einfach ignoriert werden und – ein Thema für sich – selbst grundsäztliche Regeln der Höflichkeit im E-Mailverkehr ignoriert werden.
Hallo Marcel, Du meinst sicher die neue Rechtschreibung. Die ist in der Tat an Ämtern und Schulen bindend. Durchgängige Kleinschreibung finde ich zwar anstrengender zu lesen als korrekte Groß- und Kleinschreibung, aber in Ordnung, solange der Rest der Schreibweise halbwegs, hm, konventionell ist. Wenn jedoch Groß- und Kleinschreibung wild, zufällig und ohne Bezug zur Wortart durcheinandergehen, da wird es dann wirklich mühselig für mich und hinterläßt einen unprofessionellen Eindruck.
Höflichkeit im E-mail-Verkehr ist noch einmal ein Thema für sich, von dem m.E. Rechtschreibung nur ein Teil ist.
Die alte Rechtschreibung ist nicht bindender als die neue und die Nutzung ist Dir – im Schriftverkehr mit Ämtern und an Schulen – freigestellt. Es gibt keine Gesetze, die die Verwendung vorschreiben.
Ich verwende sturheil die alte RS. An der neuen stört mich so viel, daß ich mich sogar weigere, Bücher zu lesen, die in neuer RS gedruckt sind. Schon das Lesen dieser Literatur verwässert die eigene gute (alte) Orthographie. Am meisten nervt mich das falsche Auseinander- und Zusammenschreiben, oder Wörter wie Schifffahrt, Nussschale etc., so wird die deutsche Sprache zur Stottersprache, was hinderlich beim Lesen ist. Und was mich auch erschreckt, ist, daß so viele Menschen seit der neuen RS-Reform im Internet jede Menge Fehler schreiben, so daß ich mich frage, ob sie überhaupt jemals zur Schule gegangen sind. Es freut mich sehr, daß ich in Ihnen, Camilla, eine Mitstreiterin der alten RS gefunden habe. Liebe Grüße.
Hallo Camilla, leider habe ich erst heute Deinen Blog entdeckt, auf der Suche nach einer Seite über das Thema „alte Rechtschreibung“. Auch ich bin Anhängerin dieser Rechtschreibung und habe damals eine Website zu dem Thema gemacht – zugegeben ziemlich polemisch, weil ich auch ein politischer Mensch bin. Für mich ist die Rechtschreibreform ein Übungslauf für diesen Staat: Man wollte herausfinden, ob ein Eingriff von solch umfassender und tiefgreifender Art vom Volk einfach geschluckt wird. Es gab ja eigentlich nur wenig Gegenwehr, und die wurde in der Regel abgebügelt. Zur neusten Einschätzung der Sprachreform siehe auch http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=682. Als Autorin spielt die Reform allerdings eine große Rolle, weil etliche Verlage auf der neuen Schreibweise bestehen. In Elternblogs wird zudem diskutiert, ob sie Bücher aus der Zeit vor der Reform überhaupt ihren Kindern schenken können. Die meisten meinen, daß das die Kinder verwirren würde, etwa Karl May zu verschenken. Ich erinnere mich, daß ich in meiner eigenen Kindheit in den 50er und 60er Jahren haufenweise Bücher in Fraktur und mit einer Rechtschreibung gelesen habe, in der es noch „das Thal“ hieß. Wie sollen denn die Kinder Fremdsprachen mit ihren teils sehr eigentümlichen Orthografien wie im Englischen lernen, wenn sie nicht einmal über die Orthografie-Kompetenz in ihrer eigenen Sprache verfügen?
Liebe Grüße Anna
Hallo Camilla,
ich bin auch ein Anhänger der alten Rechtschreibung. Geschäftlich muß ich leider die neue anwenden. Im privaten Bereich werde ich dies weiterhin nicht tun.
Ein Hoch auf Deine Professoren!
Schön, daß auch andere so denken.
Liebe Grüße von Sylvia