Ein Plädoyer für das JETZT
„Wenn du erst dein Studium abgeschlossen hast und in Lohn und Brot bist, wird alles gut“, sagten mir während meines Studiums enge Verwandte, um mich über Durststrecken hinwegzutrösten. Was lieb gemeint war, hinterließ bei mir einen bitteren Nebengeschmack: ich wußte, daß mit dem Studienabschluß eben nicht alles in trockenen Tüchern sein würde, und die Festanstellung ist längst kein Garant für Wohlstand mehr. Zudem beeinträchtigten manche von diesen Sorgen mein Studium auch. Nun kann ich diesen (mir sehr lieben) Menschen zugute halten, daß sie aus einer Generation stammten, in der Berufstätigkeit und vor allem eine Festanstellung, namentlich als Akademiker, noch eher und zuverlässiger zu materieller Sicherheit führte als heute. Doch die Logik des „Entweder oder“ dahinter – entweder es geht mir jetzt gut ODER später – hat mir schon immer mißfallen. Zudem bin ich kein Mensch, der sich allzu lang mit vagen Hoffnungen auf eine schöne Zukunft vertrösten läßt.
Sehen wir einem ins Auge: Die Zukunft ist unsicher. Sie kommt selten so, wie wir uns das vorher vorgestellt haben. „Wenn ich erst XY habe, wird alles gut“ ist eine Illusion. Nach dem Studienabschluß kommt vielleicht erst einmal eine längere Jobsuche, bin ich fest angestellt, habe ich da vielleicht Sorgen mit Kunden oder Kollegen; mache ich mich selbständig, erweist sich meine Geschäftsidee vielleicht nicht als tragfähig genug; habe ich eine tolle Wohnung gefunden, ist sie vielleicht renovierungsbedürftig. Habe ich eine/n Partner/in gefunden, den/die ich liebe, gibt es vielleicht bei aller Liebe auch Streit und Konflikte. Aber das Schöne an all diesen möglichen zukünftigen Kümmernissen ist: es ist vollkommen müßig, sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Sie können eintreffen, müssen das aber nicht, und kein Mensch kann allen negativen Entwicklungen zuvorkommen. Sorgen kommen und gehen – in jeder Lebenssituation.
Das Jetzt ist der einzige Moment, in dem ich tatsächlich etwas tun kann und auch der einzige Moment, in dem ich das Leben genießen kann. Dabei gibt es kein Entweder-Oder: Vieles, was mich Zielen wirklich näher bringt, tue ich genau wegen dieses Wissens mit Freude. Ziele sind für mich inspirierend und geben mir Richtung, aber wer hält nicht auf einer Wanderung einmal inne und genießt die Aussicht?
In diesem Sinne: genießt Euer Leben – und verzeiht mir diesen pathetischen Ausbruch: das wollte ich mal loswerden.