Die Schere im Kopf: Der innere Zensor

Camilla/ Oktober 6, 2008/ Kreativität, Werkzeugkasten

Wir alle kennen das. Da setzt man sich hin mit dem festen Vorsatz, ewas zu schreiben, aber nach einer halben Stunde hat man jeden Ansatz gleich wieder gelöscht, weil er es irgendwie nicht trifft, die Formulierung blöd ist oder man das Gefühl hat, sich dabei fachlich zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Klingt bekannt? Dieses Phänomen nenne ich den „inneren Zensor“. Für mich ist er der Kreativitätskiller Nummer eins.

Das kritische Denken, von dem der innere Zensor eine Instanz ist, hat durchaus seine Berechtigung, nämlich daß es unsere Äußerungen und Gedanken hinterfragt und auf Qualität bedacht ist. Nur pflegt der innere Zensor sich zum falschen Zeitpunkt am stärksten einzumischen, nämlich beim ersten Niederschreiben der Gedanken. Das ist die empfindlichste Phase. Steht erst einmal ein Text da, ist ein Gedanke erst einmal niedergeschrieben, erscheint er oft gar nicht mehr so banal wie beim reinen Nachdenken. Oft läßt sich die Qualität einer Idee dann erst richtig beurteilen. In der Phase der Überarbeitung, wenn es um das (selbst)kritische Konsolidieren von Ideen geht, hat der Zensor seine Berechtigung, aber meist ist er dann nicht mehr gar so übereifrig.

Aber was kann man dagegen tun, daß der innere Zensor sich zur Unzeit, nämlich beim Verfassen des Rohtexts, einmischt?

  • Per Hand schreiben. Daß man am Computer sofort editieren kann, macht dem Zensor nämlich das Leben leichter. Zudem muß man Handgeschriebenes noch abtippen, was ein Schritt der besonders intensiven Überarbeitung sein kann.
  • Beim Niederschreiben erster Ideen nichts durchstreichen oder editieren, sondern das auf die Überarbeitung des Textes verschieben.
  • Brainstorm: Unterschiedslos alles niederschreiben, was einem einfällt, ohne zu beurteilen oder abzuwägen, Beurteilung auf später verschieben.
  • Freischreiben/Freewriting: Schnelles Schreiben ohne Absetzen oder Pause. Lutz von Werder beschreibt die Technik so:
„Motivieren Sie sich fünf Minuten, ohne Halt einfach zu schreiben. Wenn Ihnen nichts einfällt, schreiben Sie über Ihren Schreibblock. Die einzige Bedingung des ‚Free-Writing‘ ist es, im Schreibprozeß zu bleiben. Das Ziel des ‚Free-Writing‘ ist der Prozeß, nicht das Produkt.“ (Lutz von Werder, Kreatives Schreiben von Diplom- und Doktorarbeiten, Berlin [Schibri] 2000, S. 22.)
  • Clustering/Mindmapping. Die sichtbare Hierarchisierung bringt Struktur, System und Ordnung in die Gedanken, die Methode hat trotzdem etwas Spielerisches – da bleibt der gestrenge Zensor außen vor. (Siehe auch: von Werder, Kreatives Schreiben…, S. 27-31.)
  • Vorerst einmal bewußt „doof“ und „wie einem der Schnabel gewachsen ist“ schreiben: Eine wissenschaftlich klingende Formulierung kann man später immer noch finden.
  • Für einen Adressaten schreiben: Das Thema einem Kind, Lebensgefährte/in, der Großmutter… erklären. Viele Studenten haben Probleme damit, in „wissenschaftlicher“ Sprache zu schreiben; entkoppelt man das Aufschreiben des Inhalts vorerst von der sprachlichen Darstellung, nimmt das die Hürde „Wissenschaftlichkeit“ erst einmal weg. Zudem weiß man als StudentIn oft nicht so genau, für wen man nun eigentlich schreibt – für die Dozentin/den Dozenten oder doch für ein unterstelltes wissenschaftliches Publikum? Letzteres ist als Adressat reichlich diffus.
  • Zeitdruck herstellen bzw. mit Zeitbegrenzung und in extremer Geschwindigkeit arbeiten, das heißt, sich gar keine Zeit nehmen, nachzudenken und das Geschriebene zu kritisieren.

Mit diesen Strategien bin ich bisher zu gutem Rohmaterial gekommen. Und das ist die Grundlage für einen guten Sachtext.

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